Siegen-Weidenau: Rund 50 Gäste folgten am vergangenen Mittwoch der Einladung der SPD Weidenau und des hiesigen Europa-Arbeitskreises, um sich über den Brexit und die Folgen für die Menschen und die Wirtschaft in Siegen-Wittgenstein zu informieren. Neben dem Hauptgeschäftsführer der IHK Siegen, Klaus Gräbener, stand die Brexit-Expertin Dr. Birgit Bujard aus dem Rednerteam der EU-Kommission für Fragen der Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung.

In der von Steffen Löhr aus dem Europa-Arbeitskreis moderierten Veranstaltung stellte Bujard unter anderem dar, was sich durch den Austritt Großbritanniens zum 31. Januar dieses Jahres geändert hat und was in den nächsten Monaten alles noch mit Großbritannien verhandelt werden muss. Warenverkehr, Fischerei, Luftverkehr, für vieles müsse noch eine Einigung gefunden werden. Ob die dafür vorgesehene Frist bis zum 31.12.2020 ausreicht, sei ungewiss, so Bujard. Eine Fristverlängerung um bis zu zwei Jahre sei unter bestimmten Bedingungen allerdings möglich, erklärte die Expertin dem Publikum. Klaus Gräbener verdeutlichte, dass Großbritannien in wirtschaftlicher Hinsicht so gewichtig sei wie die 19 kleinsten EU-Länder zusammengenommen. Das Handelsvolumen zwischen Deutschland und Großbritannien belaufe sich auf knapp 120 Mrd. €. Allein die heimischen Industrieunternehmen exportierten Waren im Wert von rund 550 Mio. € nach Großbritannien. Über 30 regional ansässige Firmen unterhielten Handelsbeziehungen dorthin. Mit dem Land verliere die EU jedoch nicht allein eine bedeutende Wirtschaftsnation, sondern auch einen politischen Partner, der stets für Freihandel, fairen Wettbewerb und weniger Bürokratie gestritten habe. Das werde das „Gewicht der Marktwirtschaftler“ in der EU schwächen, so Gräbener. Die IHK habe mit vielfältigen Veranstaltungsformaten versucht, die Unternehmen auf den Brexit und seine Folgen vorzubereiten. Nach wie vor stellten die zahlreichen noch ungeklärten Fragen jedoch ein erhebliches Problem dar. Klaus Gräbener: „Wie wollen Sie auch betroffene Unternehmen punktgenau auf etwas vorbereiten, für das es historisch kein Beispiel gibt?“ Wie problematisch sich die Situation aus einzelbetrieblicher Sicht darstellt, schilderte ein Gast aus dem Publikum, in dessen Betrieb durch den Brexit nun längere Lieferzeiten und damit ein deutlicher Wettbewerbsnachteil befürchtet werden.
Eine zusätzliche Perspektive brachte der Vorsitzende der Jusos Siegen-Wittgenstein, Kevin Musielak, ein. Als Doktorand blickte er auf die Wissenschaft und den Uni-Standort Siegen. Englisch sei die Wissenschaftssprache schlechthin und die britische Universitätslandschaft sei hervorragend, was Großbritannien zu einem beliebten Ziel für Studierende mache, z.B. für ein Auslandssemester. Auch aus diesem Gesichtspunkt heraus sei der EU-Austritt Großbritanniens ein herber Verlust. Klaus Gräbener ergänzte, der Brexit betreffe auch laufende EU-Austauschprogramme in der betrieblichen Ausbildung. Sollten EU-Fördergelder für diese wichtigen Segmente wegfallen, wären Bund und Land gefordert, hier einzuspringen, damit auch zukünftig junge Menschen in Großbritannien studieren und ausgebildet werden könnten. Es liege nach Auffassung der IHK jedenfalls sowohl im politischen als auch im wirtschaftlichen Interesse der Bundesrepublik, den grenzüberschreitenden Austausch mit diesem wichtigen Land auf dem erreichten hohen Stand zu stabilisieren.
Hinsichtlich Schüleraustausch, Städtepartnerschaften und dem ganz normalen Reisen konnte die Expertin Dr. Bujard eine Fragestellerin aus dem Publikum aber beruhigen. Die Visafreiheit bei Urlaubsaufenthalten bleibe voraussichtlich erhalten. Und so brachte der Abend einige wichtige Erkenntnisse, vor allem aber jene: Der Brexit wird uns auch in den nächsten Monaten weiterhin beschäftigen. „Die Diskussion um den Brexit zeigt allerdings auch, wie wichtig die Europäische Union in unserem Alltag ist und dass wir uns noch stärker um unser Europa bemühen müssen“, so Löhr abschließend.